Hamid war jetzt Mitte Zwanzig und saß nun auf einer Plastikbank der Metrostation, unter seiner Jacke einen Gürtel mit Plastiksprengstoff. Er hatte keine Minute schlafen können und als Nasr ihm vor knapp einer Stunde feierlich den Gürtel überreichte spürte er seinen Puls bis in den Kopf. In der Nacht lief sein Leben langsam vor ihm ab und man sagte, dass sich das Ganze im Moment des Todes wie im Zeitraffer wiederholen würde. Das Leben war ein ewiger Kreislauf…Er musste an seinen Vater denken dessen Gesicht er nur von Bildern kannte…Auch er war Mitte Zwanzig als er nach Erzählungen seiner Mutter 1982 mit 2000 Pasdaran, den iranischen Revolutionsgarden nach Baalbek in den Libanon gekommen war, um die iranische Revolution dorthin zu exportieren. Als die Israelis dann in den Südlibanon einmarschierten griffen die Pasdaran zugunsten der schiitischen Milizen in den Bürgerkrieg ein…Bei einem nächtlichen Angriff auf einen israelischen Wachposten ist er dann ums Leben gekommen… Sein Vater war für ihn ein Held, der ihn auf den Bildern immerzu anlächelte…eine ganze Kindheit und Jugend lang…Schmerz und Trauer waren für seine Mutter und ihn zu ständigen Begleitern geworden und sehr schnell war die Kindheit aus seinen Gesichtszügen gewichen…Selten konnte er mit den Kindern aus der Nachbarschaft unbeschwert auf der Strasse spielen…Stattdessen gab es nur den ewigen Kreislauf von Gewalt, Zerstörung, Verlust…Die Hisbollah, die für Islamisten im Südlibanon natürlich mit einem politischen Ziel ein soziales Netz gespannte hatte, versorgte seine Familie während vieler Jahre mit dem Nötigsten, sorgte dafür, dass er zur Schule ging, dass er und Mutter finanziell unterstützt wurden…Mit einer Mischung aus Schmerz, Zustimmung und Besorgnis sah die Mutter wie die Worte des geistlichen Oberhauptes der Hisbollah, Großayatollah Muhammad Hussein Fadlalla langsam für Hamid zum Gesetz wurden und nach und nach sein Leben bestimmten. Die Hisbollah bildete ihn in jungen Jahren militärisch aus und als er 17 war hatte er schon an Einsätzen gegen die Israelis im Grenzgebiet des Südlibanon teilgenommen. Dann kam Nine-Eleven…Mit unverhohlener Begeisterung hatte er im TV die Bilder des einstürzenden World Trade Centres gesehen. Zwar waren für Muhammad Hussein Fadlalla die Leute der sunnitisch geprägten Al-Kaida keine Märtyrer sondern bl0ße Selbstmörder, aber die Bilder hatten ihn tief beendruckt…und nun saß er hier und die ersten Menschenmassen schoben sich vor seinen Augen in die Züge der Metro…Im Augenblick fühlte er sich elend und die grossen pathetischen Emotionen die seine früheren Vorstellungen solcher Aktionen immer begleitet hatten, lagen ihm so fern wie nur irgendetwas…Er ertappte sich dabei, wie er immer wieder nervös auf den Gürtel drückte…Eigenartig, die weich-elastische Sprenggelatinemischung erinnerte ihn ausgerechnet in diesem Moment an so etwas Schlichtes wie Kaugummi, das er liebte…
Fortsetzung folgt…
Globalautist